Dagmar
Alter: 58
Ausbildung: Fremdsprachenkorrespondentin
Beruf früher: Devisenhändlerin
Tätigkeit heute: Yogalehrerin
Dagmar Brosch
„Ein Hobby macht man nicht zum Beruf. Das hatte ich total verinnerlicht. Hinterher dachte ich, nein, das stimmte einfach nicht.“
(Lesezeit: 7 min)
Wusstest du nach der Schule gleich, wohin die Reise für dich gehen soll?
Ich wusste, was mich interessiert und das war Philosophie und Theologie. Mein Vater fragte dann, ob ich Lehrerin werden wollte oder Pfarrerin. Das wollte ich natürlich nicht (lacht). Mein Vater sagte damals: „Ja, aber wenn du nichts davon werden willst, sondern einfach nur studieren willst…“, damit war das Thema beendet. Daneben hatte ich ein Interesse für Sprachen. So entschied ich mich für eine Sprachschule, wo ich zwei Jahre Fremdsprachenkorrespondenz für Englisch und Französisch lernte.
Nachdem du deinen Abschluss in der Tasche hattest – wie verlief deine berufliche Karriere zunächst?
Ich hatte zwar viel Spaß bei der Ausbildung, aber es war eben kein Übersetzer, sondern „nur“, wie man damals sagte, Fremdsprachensekretärin. Ich hatte mir dann überlegt, was ich damit anfangen kann. Ich wollte ausziehen und Geld verdienen – so viel stand fest. Ich bewarb mich bei einer amerikanischen Bank und fing dort an. Aber das hatte mir gar keinen Spaß gemacht. Kreditsachbearbeitung – tiefe Teppiche, alles sehr steif und ruhig. Durch einen Zufall sprach mich ein Kollege an und fragte, ob ich im Devisenhandel mitarbeiten möchte. Ich wusste gar nicht was das war. Dann nahm mich der Kollege mit. Als er die Tür zum Büro öffnete, dachte ich, ich sei bei der NASA: viele Bildschirme, schreiende Menschen… hier war Action und das war genau meins. So kam ich zum Devisenhandel, weil ich mich dafür interessierte. Ich bin dann insgesamt fast 30 Jahre als Beraterin dabeigeblieben. Ohne ein Studium ist das wohl heute nicht mehr möglich.
Hattest du ein bestimmtes berufliches Ziel?
Konkret nicht, aber ich wusste, ich wollte Kontakt mit Menschen haben, reisen und international arbeiten. Das war alles dabei. Ich habe viele Fortbildungen in London gemacht und viele Menschen aus anderen europäischen Ländern getroffen. Ich musste ständig über den Handel Bescheid wissen und mit anderen in Kontakt sein, viele Kundenveranstaltungen – das war das komplette Paket, was mit Spaß gemacht hat. Ein sehr lebendiger Job, kein Tag war wie der andere. Es gab mal einen Film mit Melanie Griffith und Harrison Ford „Working girls“, glaube ich. Dieses Bild hatte ich vor Augen: In einer Metropole arbeiten, unterwegs sein, ein schickes Kostüm anhaben – ich wollte nichts anderes.
Wann hast du begonnen, deine Tätigkeit zu hinterfragen, gab es einen Auslöser dafür?
2000 gab es Veränderungen bei der Bank und allmählich veränderte sich auch der Job. Ich wechselte zu einer anderen Bank. Das Reisen wurde weniger, weil mehr und mehr über den Bildschirm gemacht wurde, die Beratung wurde weniger und aufgrund von Compliance gab es kaum noch Kundenveranstaltungen. Alles, was mich an dem Job fasziniert hatte, war plötzlich nicht mehr da. Zu dieser Zeit begann ich auch mit Yoga. 2007 gab es dann noch die Bankenkrise und es wurde weiter gespart, Personal entlassen, viel dokumentiert etc. Ich wurde immer unzufriedener. Ich fing an, mein Tun zu hinterfragen. Ich merkte auch, dass mich das doch alles sehr viel Kraft gekostet hatte. Die Frage, die ich mir dann stellte, lautete: Soll das so weitergehen bis 67? Es kam immer mehr hoch und ich hatte das Gefühl, es ist total sinnbefreit, was ich hier mache.
Nach dieser Erkenntnis, wie ging es dann weiter?
Ich wollte etwas machen, was mir wieder mit jeder Faser Spaß machte. „Wer liebt, was er tut, muss im Leben nie mehr arbeiten.“ Dieser Spruch von Konfuzius begleitete mich. Es kann doch nicht sein, dass man Dinge, die man liebt, wie Singen oder Yoga nur am Wochenende tun kann. Im Kopf hatte ich immer auch einen Spruch von meinem Vater, als es um die Berufswahl ging: „Ein Hobby macht man nicht zum Beruf“. Das hatte ich total verinnerlicht. Hinterher dachte, nein, das stimmte einfach nicht.
Hattest du gleich einen Plan B?
Zunächst habe ich versucht, meinen Blickwinkel auf die Dinge zu verändern. Ich habe auch durch das Yoga angefangen, viel Selbstreflektion zu betreiben. Ich war wie in einem Hamsterrad gefangen, dass ich davor keine Zeit dafür hatte. Aber es blieb dabei, ich wollte das nicht mehr. Das Yoga hat Themen angerührt, mit denen ich mich schon immer gerne beschäftigt hatte. Daher kam vielleicht auch mein anfänglicher Wunsch, Philosophie und Theologie zu studieren. Wohl durch den Einfluss meiner Eltern entschied ich mich damals für einen anderen Weg. Für mich hatte sich jetzt ein Kreis geschlossen.
Raus aus dem Kostüm und rein in die Yogahose – was war für dich die größte Hürde dabei?
Ich glaube, ohne dass es mir bewusst war, habe ich nur auf den richtigen Zeitpunkt für den Absprung gewartet. Ich brauchte nur noch einen Anlass. Ich wusste wohl, irgendwann wird es soweit sein. Die äußeren Umstände verschärften sich dann auch so sehr, dass ich diesen Zeitpunkt dann erreicht sah. Ich wusste, hier ist nicht mehr mein Platz und auch woanders in einer Bank ist er nicht mehr. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich dann schon die Yogalehrer-Ausbildung gemacht. Und dennoch ist mir Schritt dann nicht so leicht gefallen, wie ich mir das zunächst vorgestellt hatte. Also mich mit dem neuen Leben, das ich mir gewählt hatte, rund zu fühlen. Es war weniger der Status, als die Identifikation, die mir zunächst fehlte.
Welche Rolle spielte bei deiner Entscheidung die finanzielle Sicherheit?
Klar, der Gedanke, diese nicht mehr zu haben, spielte natürlich mit. Aber ich habe das rational gelöst: Meine finanzielle Situation war gut. Ich hatte ja auch viel gearbeitet und gut verdient und war nicht Alleinverdiener. Ich konnte es mir einfach leisten, etwas ganz anderes zu machen, ohne finanzielle Gewichtung.
Wie bist du vorgegangen, was waren deine ersten Schritte?
Ich habe direkt angefangen, Yogastunden zu geben. Ich hatte durch meine Ausbildung bereits Kontakte, an die ich anknüpfen konnte.
Wie hat dein Umfeld auf die Veränderung reagiert? Wurde sie als Rückschritt wahrgenommen?
Das Umfeld hat interessanter Weise durchweg positiv reagiert. So eine Aussteiger-Story ist natürlich auch spannend. Ich glaube, die fanden das alle gut. Vielleicht sagt es dir auch keiner. Ich musste mich eigentlich nicht erklären, ich dachte nur, dass ich es tun müsste.
Wie sieht dein Alltag heute aus? Bist du erfolgreich in deinem neuen Business?
Die Bankerin in mir sagt, dass ich mein Business gar nicht richtig mache. Da könnte man sicher viel mehr machen, um erfolgreicher zu sein. Aber für mich ist es mein Projekt und ich mache das, was ich liebe. Außerdem ist mir wichtig, mehr Zeit zu haben, vor allem für die Familie, für mich und meine Freunde, die, anders als ich dachte, allerdings kaum Zeit haben (lacht). Insofern ist mein Leben jetzt sehr rund. Dennoch möchte ich das Yoga weiter ausbauen, ohne zeitlich zu sehr gebunden zu sein.
Kamen auch mal Zweifel, ob es die Entscheidung richtig war?
Die ersten Jahre vielleicht, als ich noch mit der Frage gekämpft habe, wer bin ich denn jetzt. Mittlerweile aber nicht mehr. Den Job habe ich eigentlich nicht vermisst, eher habe ich mich gefragt, ob das eine weise Entscheidung war. Das hatte mich anfangs immer wieder beschäftigt. Ich denke aber, dass das zum Ablösungsprozess gehörte.
Zur Pandemie: Hat sich dadurch die Sichtweise auf die Tätigkeit heute noch einmal verändert?
Sie hat mir noch einmal mehr Zeit gegeben, um mich mit vielen Dingen zu beschäftigen und es hat mich noch bestärkt in meinem Weg, dass ich etwas tun kann für die Menschen, etwas bewirke. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich da richtig bin und jetzt macht es auch Sinn. Entspannung bekommt derzeit noch einmal eine ganz andere Bedeutung.
Glaubst du, dass Frauen generell mutiger geworden sind, so einen Umbruch zu wagen?
Ich glaube, dass Frauen schon immer mutig waren, vielleicht nicht unbedingt in ihrem Berufsweg. Wir sind anders erzogen worden. Es ist ein anderer Weg, den wir heute gehen können. Allerdings wird es aber auch schon fast wieder erwartet, was vielleicht auch wieder einen Druck erzeugt. Ich musste mir in meinem alten Job schon viel männliche Härte anerziehen, um in dieser Männerwelt bestehen zu können. Man brauchte ein dickes Fell und Durchsetzungsvermögen, was nicht unbedingt meinem Wesen entspricht. Da frage ich mich: Ist das wirklich nötig oder schaffen die Frauen das heute anders? Ich dachte, ich müsste es, um gleichberechtigt wahrgenommen zu werden.
Was sind deine Ziele heute?
Ich möchte diesen „Yogaweg“ noch ein bisschen vertiefen. Menschen vielleicht in so einem Prozess, wie ich ihn durchlebt habe, begleiten. Kein Coaching, sondern mehr Möglichkeiten im Bereich der Entspannung. Ich glaube, da ist noch viel mehr möglich.
Hättest du einen Tipp für Frauen, die sich verändern wollen?
Auf jeden Fall die Gedanken nach Veränderung zulassen, aber nicht blauäugig ranzugehen. Über die Konsequenzen sollte man sich im Klaren sein. Aber wenn man über einen längeren Zeitraum merkt, das ist es nicht, dann sollte man sich ernsthaft damit auseinandersetzen. Ausprobieren! Wandel wird heute ja gesellschaftlich viel positiver bewertet. Mein Lebensmotto, an dem ich mich selbst übe, lautet: den Moment zu leben, in der Gegenwart zu sein.