In Zukunft nachhaltig

Andrea

Alter: 59
Ausbildung: Wirtschaftsingeneurin
Beruf früher:
Global Account Managerin
Beruf heute: Nachhaltigkeitsmanagerin

„Ich wollte mehr Lebenszeit und ich wollte einen anderen Sinn in meinem Leben.“

(Lesezeit: 10 min)

Welche Pläne hattest du nach dem Abi?

Ich hatte in der Schule Kunstgeschichte, das hat mir gut gefallen. Ich habe angefangen, mich an den Unis in der Nähe dafür zu bewerben, aber mein Abi war nicht so gut und habe Absagen bekommen. Dann rückte die Zeit immer näher. Bei uns vor Ort, ich komme aus Wilhelmshaven, da gibt es die Fachhochschule. Den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen fand ich ganz spannend, weil er so beides hat, also BWL und Ingenieur, also mehr interdisziplinär und da habe ich gedacht, okay, da schreibe ich mich mal ein.

Ein ziemlicher Kontrast, oder?

Ich habe mein Abitur an einem Wirtschaftsgymnasium gemacht, also hatte schon BWL. Kurz bevor mein Studium anfing, habe ich dann noch eine Zusage von der Uni in Braunschweig für Kunstgeschichte bekommen. Innerhalb von vier Tagen sollte ich mich dort einschreiben. Ich hatte keinen Job und keine Wohnung, nichts und wusste nicht, wie ich das bewerkstelligen sollte.

Hast du mit deinen Eltern über deinen Berufsziel gesprochen oder mit Freunden?

Nein, meine Eltern, speziell meinen Vater, war es immer nur wichtig, Abi zu machen und vielleicht auch zu studieren, was dann auch mein Wunsch war. Ich konnte mir nicht vorstellen, eine Lehre zu machen oder sowas. Sie fanden das auch schöner, wenn ich vor Ort bleibe und Wirtschaft hörte sich ja auch seriöser an als Kunstgeschichte (lacht).

Mit dem Diplom in der Tasche, wie ging es dann weiter?

Dann bin ich erstmal in ein Loch gefallen. Ich weiß noch, ich hatte dann auch ganz irre Träume von Treppenhäusern, die nie aufhörten und wo ich immer in jede Tür geguckt habe. Irgendwann fing ich an, mich zu bewerben. Schließlich habe ich bei einer Maschinenbau-Fabrik  als kaufmännische Assistentin angefangen. Dort sollte ich ein Produktionsplanungssystem einführen. Als junges Ding hatte ich wenig Erfahrung und ich sollte alten Herren sagen, was sie tun sollen. Diese Firma ging dann Pleite und  ich machte dann noch einen kurzen Abstecher zu einer anderen Firma, wo ich im Bereich Marketing Projektleitung gearbeitet habe. Da war ich aber nicht lange. Die hatten auch ein finanzielles Problem und dann war es halt last in first out. Mir wurde dann klar, in der Gegend wirst du nichts und bin nach Frankfurt gegangen.

Hast du dich dann gezielt nach Frankfurt beworben?

Erstmal nicht. Ein Studienkollege wohnte hier schon und hatte in seiner WG ein Zimmer frei. Und dann habe ich mir gesagt, ich schau mich mal um, was es dort für Möglichkeiten gibt. Ich hatte gar kein Ziel, ich wusste nur, was ich nicht machen wollte. Rein zufällig bin ich zu einer Computerfirma gekommen, zu Dell, dort hatte ich mich vorgestellt. Das war so lässig dort, die damalige Chefin mochte mich und ich mochte sie. Sie hat mich dann eingestellt und ich dachte, okay, hier bleibst du mal ein Jahr oder so und konsolidierst dich, verdienst erst mal ein bisschen Geld. Das war dann so gut, dass ich letztlich 17 Jahre dort geblieben bin. Ich habe sehr viele Sachen gemacht, war aber immer im Vertrieb und habe mich da weiterentwickelt bis zum Global Account Manager zum Schluss. In der Branche ist ja auch viel passiert und ich konnte innerhalb der Firma viel Neues kennenlernen. Dann gab es ein paar Veränderungen bei Dell. Auch ein anderes Management und in der Zeit habe ich ein Angebot von Lenovo als Global Account Manager bekommen, das ich dann annahm.

Wann hast du angefangen, deine Tätigkeit zu hinterfragen?

Das fing schon früh an, so 2018 ungefähr habe ich dann überlegt, willst du das jetzt eigentlich so weitermachen? Die nächsten großen Kunden und wieder dasselbe mit dem? Das war so ein Grundgefühl, das mich schon eine längere Zeit begleitet hatte und wo ich mich dann auch tatsächlich anfing zu langweilen. Es kommt ein neues Produkt, ein neuer Service dazu, es verändert sich ein bisschen, aber trotzdem ist es das Gleiche. Und es gab sehr viel Druck, Umsatz zu machen, immer verfügbar zu sein und immer für den Kunden und für die Firma da zu sein. Das war auch etwas, was ich gar nicht mehr ausgehalten habe, was ich auch gar nicht mehr machen wollte, auch körperlich. 28 Jahre PC-Industrie ist schon heftig.

Du bist dann einfach ausgestiegen?

Es gab eine gute Gelegenheit, die habe ich ergriffen. Ich hatte mich das vorher nie getraut, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte. Jetzt aber dachte ich, nee, das ist egal, ich kann das nicht mehr weitermachen und will es auch nicht. Ich bin dann ausgestiegen an diesem Tag, ohne zu wissen, was ich am nächsten Tag tun werde. Finanziell konnte ich mir das leisten, ich hatte mir ein gutes finanzielles Polster erarbeitet. Und auch mein Partner hat mich bestärkt und unterstützt. Ich hatte also einen Rückhalt.

Hättest du so eine Entscheidung auch getroffen, wenn die Ausgangslage weniger gut gewesen wäre? Falls du die Frage überhaupt beantworten kannst.

Ja, das ist eine gute Frage, wahrscheinlich ja. Denn dieser Gedanke hatte mich schon länger gequält. Aber ich hatte auch immer so Hinterkopf ich muss Sicherheit haben. Bei mir ist dieser Punkt gekommen, wo ich dann wirklich gesagt habe, es geht nicht mehr, ich will nicht mehr, Schluss.

Wie waren die Reaktionen von deinem Umfeld?

Die waren alle begeistert und auch ein bisschen neidisch. Viele haben sich gefreut und fanden das toll und das hat mich dann auch nochmal bestätigt, dass das ein guter Schritt war. Man fängt ja auch zu rechnen an und denkt über später nach, was früher nie ein Thema war, aber irgendwann wird es das. Ich hatte ja sehr viel gearbeitet, teilweise über 60 Stunden in der Woche und habe gedacht, das ist keine Lebenszeit und die ist wichtig. Ich dachte auch mal über eine Viertragewoche nach, aber das ist im Vertrieb ein bisschen doof. Du machst dieselbe Arbeit in vier Tagen und wirst schlechter bezahlt.

Nach dem Ausstieg, wie ging es weiter?

Dann habe ich mich hingesetzt und habe erstmal gar nichts gemacht. Ich bin zur Ruhe gekommen, damit sich überhaupt was Neues entwickeln konnte. Das war toll, ich war zufrieden und habe mich echt wohlgefühlt damit. Ich hatte dann auch nicht so den Druck, dass ich jetzt unbedingt was machen muss. Ich wusste, ich brauche jetzt erstmal Zeit.

Was interessierte dich?

Ich dachte immer, ich will was tun, ich will die Welt verbessern, ich will meinen Beitrag leisten und was Gutes tun. Deshalb habe ich mich immer mehr in Richtung Umwelt umgehört. 2015, als viele Geflüchtete kamen, haben wir beim Projekt Teachers on the Road mitgemacht und haben Alphabetisierungskurse für die Neuankömmlinge gemacht. Da habe ich schon gemerkt, was mir das gibt, einen Beitrag zu leisten. Als ich bei Lenovo aufhörte, wollte ich zunächst zu einer NGO gehen oder sowas. Aber da werden oft Menschen mit Fachwissen gesucht, das passte nicht. Und dann habe ich mich auf die Suche begeben. Immer mehr bin ich zu dem Thema Nachhaltigkeit gekommen. Ich wolle etwas lernen, ein Handwerkzeug haben, aber es sollte kein langes Studium sein.

Wie bist du dann vorgegangen?

Ich habe dann eine Weiterbildung zur Nachhaltigkeitsmanagerin mit Dekra-Zertifizierung entdeckt, die über vier Monate ging. Das war auch ein guter Zeitraum, alles andere war mir zu kurz. Ende Juli war dann die Prüfung und drei Wochen später gab es dann das Zertifikat, da habe ich mich erstmal totgefreut (lacht). Ich dachte zwar schon, dass ich es schaffe, aber die Prüfung war schon recht schwierig. Ich habe richtig gepaukt dafür. Nach so einer langen Berufszeit sich hinzusetzen und zu studieren, war anfangs nicht leicht. Aber es hat mich von Tag zu Tag mehr begeistert. Auch die die Gruppe war toll.

Was hat dich die Ausbildung gekostet?

Das hat Geld gekostet und war auch gar nicht so günstig, ich war bereit, das selbst zu finanzieren, habe dann aber ganz kurzfristig Glück gehabt und einen Bildungsgutschein vom Arbeitsamt bekommen. Was auch ich nicht ganz einfach war. Aber es hat funktioniert.

Was sind jetzt deine Pläne?

Nach der Prüfung habe ich erst einmal Urlaub gemacht und dann meine Bewerbungsunterlagen neu gestaltet. Jetzt bewerbe ich mich in Unternehmen im Umkreis als CSR/-Nachhaltigkeitsmanagerin, man nennt es auch Sustainability Manager. Weil ich erst noch einmal Praxis im Unternehmensumfeld haben möchte in der Beratung von Kunden oder in den Unternehmen selbst. Das Thema Selbstständigkeit ist am Horizont und das will ich auch machen, aber ich brauch jetzt nochmal so anderthalb oder zwei Jahre Praxis dafür. Vielleicht kann ich das auch später mit meinem Partner zusammen machen. Ich will gar nicht an mein offizielles Rentenalter denken. Ich stelle mir vor, dass ich das darüber hinaus machen kann und vor allem selbst steuern kann.

Wie siehst du dich heute in der Rückschau? Hättest du es früher angehen sollen?

Durch die Zeit, die ich mir gegeben habe, um darüber nachzudenken, was ich machen will, habe ich eine gewisse Ruhe und Gewissheit bekommen, dass das klappt. Und auch durch die Reflexion mit mir selbst wurde ich viel selbstbewusster, das war echt unglaublich. Natürlich wäre es schöner gewesen, das vielleicht 2-3 Jahre vorher zu machen, aber da war das Thema bei mir noch nicht so gefestigt und so aktuell, von daher denke ich, alles richtig, alles gut. Das war jetzt ein entscheidender Schritt und den würde ich immer wieder so machen.

Denkst du, dass Frauen heute mutiger geworden sind, sich neu aufzustellen?

Ich glaube schon, weil es nicht nur für Frauen viel mehr Möglichkeiten gibt. Alleine so ein Selbstlernstudium, ich kann mir alles in Youtube anschauen. Also, ich kann zum Beispiel nicht nähen, aber ich kann gucken, wie man näht und dann kann ich es machen. Das gibt einem ein ganz anderes Bewusstsein für Sachen, die man schaffen kann. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Frauen einfach öfter auf den Tisch hauen und sagen, „ich bin hier, ich möchte anerkannt werden und ich bin kein Menopausenwesen oder sonst was“.

Hast du einen Tipp aufgrund deiner Erfahrungen jetzt?

Ja, dass man sich eine Auszeit nimmt, um sich über Dinge klarzuwerden. Wenn du in deinem Trott bist, wenn du in deinem Berufsleben bist, hast du keine Zeit dafür, darüber nachzudenken, das geht einfach nicht. Ich wollte mehr Lebenszeit und ich wollte einen anderen Sinn in meinem Leben,deswegen habe ich es auch gemacht. Ich fand das nicht mehr so sinnvoll, dem hinterherzujagen, ohne Rücksicht auf die Umwelt oder auf andere, aber du kommst erst auf diesen Gedanken, wenn du dir Zeit nimmst. Wenn du das mal zulässt, weiterzudenken oder dann auch zu hinterfragen, da kommst du auf ganz neue Erkenntnisse über dich selbst. Das fand ich total spannend.

Dein Motto?

Ich hab immer ein Motto gehabt mit dem Thema Weg. Und jetzt habe ich auch was Schönes gelesen und dachte, das passt zu mir: Wege entstehen dort, wo man sie geht. Ich denke, das stimmt, nicht immer die gepflasterten Wege, sondern auch andere Wege zu gehen, denn indem man das macht, entstehen ja auch neue.