Eva
Alter: 50
Ausbildung: Diplom Sozialarbeiterin
Beruf früher: Sozialarbeit, Arbeit mit behinderten Menschen, Berufshilfe für Jugendliche, Bürokraft
Beruf heute: Selbstständige Einzelhändlerin, Inhaberin der Etagerie
„Wir leisten mit unserem Laden einen sozialen Beitrag für die Stadtgesellschaft.“
(Lesezeit: 08 min)
Was waren deine Pläne nach der Schule?
Ich habe an einer progressiven, hessischen Gesamtschule im Taunus ein sehr gutes Abitur gemacht. Ich bin wahnsinnig gerne in die Schule gegangen und würde mich als wissbegierig bezeichnen. Die Lehrer gingen deshalb davon aus, dass ich Jura, Politikwissenschaften oder ähnliches studieren würde, aber ich hatte überhaupt keine Idee, warum ich das tun sollte. Berufsberatungsangebote gab es damals kaum.
Haben deine Eltern Einfluss genommen?
Meine Eltern haben sich komplett rausgehalten. Sie selbst waren stark reglementiert worden, deswegen gaben sie meiner Schwester und mir viele Freiheiten, aber auch wenig Orientierung. Meine Mutter durfte als Arzttochter nicht Hauswirtschafterin, sondern musste wenigstens Physiotherapeutin werden und war dann auch nie berufstätig. Mein Vater musste anstatt Geschichte Jura und Volkswirtschaft studieren und arbeitete für eine Unternehmensberatung. Meine ältere Schwester hatte die Schule abgebrochen, von dort kam also auch keinerlei Orientierung. Ich wusste nur ziemlich sicher, dass ich erstmal nicht studieren wollte.
Was hast du dir dann überlegt?
Ich bin zufällig über das Angebot eines Freiwilligen sozialen Jahres gestolpert – so bin ich in die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen gekommen. Mir hat es gefallen, anzupacken und ich habe viel zurückbekommen. Letztlich habe ich in dem Wohnheim acht Jahre lang gearbeitet.
Aber eine Ausbildung oder ein Studium hattest du noch nicht begonnen?
Parallel fing ich an, zu studieren, um mehr Handwerkszeug für die praktische Arbeit zu erlernen. Ich habe also halbtags gearbeitet und studiert, zunächst an der Uni Frankfurt (Pädagogik), dann an der Berufsakademie in Villingen-Schweningen. Da mich diese Studiengänge nicht weiterbrachten, habe ich an die Fachhochschule in Frankfurt, Bereich Sozialwesen, gewechselt und mein Diplom abgelegt.
Wie verlief dann dein weiteres Berufsleben?
Ich habe mich viel mit der geistigen Haltung rund um Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen beschäftigt. Nach dem Abschluss wollte ich ein neues Feld der Sozialarbeit kennenlernen und bin im Bereich Kinder- und Jugendarbeit gelandet. Ich habe mein Anerkennungsjahr auf einem Abenteuerspielplatz gemacht. Im Anschluss wurde ich dort in die Jugendarbeit übernommen und hatte eine befristete Stelle, bei der ich leider eine unschöne Mobbingerfahrung machte. Die Lust auf Soziale Arbeit war mir danach vergangen.
Station in der Zeitarbeit
Man sieht, ich bin nicht die große Planerin, ich lasse mich auch gerne mal ein bisschen treiben. Vor und nach einem dreimonatigen Aufenthalt in New York arbeitete ich für eine Zeitarbeitsfirma. Das hatte überhaupt nichts mit meiner Ausbildung vorher zu tun. Als ungelernte Kraft wurde ich sehr schlecht bezahlt, aber ich habe großartige Erfahrungen gesammelt. Mir wurden immer wieder feste Jobs angeboten, die ich aber ausgeschlagen habe.
Neuer Start
Zuletzt war ich in der Personalabteilung der Deutschen Bank beschäftigt, als mich ein Bekannter wegen einer Stelle in der Berufshilfe mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen anfragte. Ich konnte dort meine neuen Erfahrung aus der Wirtschaft hervorragend einbringen. Nach kurzer Zeit wurde ich Projektleiterin und habe mich viel um Konzeptentwicklung und Qualitätssicherung gekümmert. Da wir sehr viele Jugendliche und junge Erwachsene in Arbeit und Ausbildung vermitteln konnten, habe ich auch gerne viel gearbeitet!
Du hattest damit dein berufliches Ziel erreicht?
Es hat Spaß gemacht, aber immer auf befristeter Stelle, selbst als Leitungskraft, das zehrt die persönliche Kräfte auf. Wir waren auf Projektgelder angewiesen und mussten ständig neue Ideen haben, damit die Projekte weiter finanziert wurden. Ich stellte dabei fest, dass ich unter solchen Bedingungen ungern in einer Leitungsposition war. Außerdem blieb mir kaum Zeit für Beratung und Vermittlung. Da war auch Überforderung dabei. Irgendwann hätte ich die Reißleine ziehen müssen, weil die Arbeit zu sehr an meine Substanz ging. Zum Glück bin ich schwanger geworden.
Finanziell warst du safe?
Als Sozialarbeiterin war ich zufrieden mit meinem Gehalt. Das war zwar kein Niveau, von dem andere träumen, aber es war okay. Durch die Schwangerschaft bin ich aus meinem Projektvertrag quasi rausgerutscht. Auf Grund meines Alters habe ich relativ schnell das zweite Kind bekommen und es entstand eine berufliche Pause. Als ich mich dann wieder beworben habe, wollte mich niemand für eine halbe Stelle. Ich musste dazuverdienen, aber für die einen war ich überqualifiziert, die anderen trauten mir das Arbeiten mit zwei betreuungsbedürftigen Kindern nicht zu, obwohl ich mich auf Projekt- und nicht auf Leitungsstellen beworben hatte.
Wie hast du wieder angeknüpft?
Diese Bewerbungserfahrung war sehr frustrierend. Ich nahm an Weiterbildungsberatungen teil und habe IT-Kurse besucht. Ziel war es, das, was ich bislang gemacht hatte, miteinander zu verknüpfen. Parallel hatte ich ein Kleinunternehmen mit genähten Röcken gegründet und auch das Projekt der Etagerie deutete sich bereits an.
Ein heißes Jahr
Und dann kam alles auf einmal. Während ich noch eine Weiterbildung im Bereich Personal absolvierte, organisierte ich zusammen mit zwei Frauen kreative Events zugunsten des Neubaus eines Offenbacher Kulturzentrums. Und dann fiel uns eine wunderschöne Ladenfläche quasi vor die Füße. Keine von uns konnte auf größere Ersparnisse zurückgreifen. Ich suchte ja eigentlich eine Arbeitsstelle und fand diese, die genau auf mich zugeschnitten war, zwei Monate vor der Eröffnung des Ladens.
Wie ging es dann mit deinem Herzensprojekt, der Etagerie weiter?
Anfangs habe ich wirklich alles auf einmal gemacht. Nach einem Jahr habe ich die Sozialarbeit endgültig aufgegeben. Dies hatte v.a. damit zu tun, dass ich nach meiner Kinderpause im öffentlichen Tarifsystem quasi wieder „auf Start“ gesetzt wurde, unabhängig von meiner jahrelangen Berufserfahrung. Folglich machte es Sinn, stärker in den Laden einzusteigen.
Wie hast du dich dann entschieden?
Die anderen Ladeninhaberinnen sind 2017 ausgestiegen. Für mich war klar, dass ich die Etagerie weiterführen wollte. Es kam immer mehr Kundschaft und es fing an, sich zu lohnen. Heute bin ich die Hauptmieterin und vermiete Teile des Ladens, u.a. an Ulrike Janssen (maschenwahn) unter.
Kannst du noch einmal kurz erklären, was die Etagerie ist und welches Konzept dahintersteht.
Die Etagerie ist ein Einzelhandelsladen in Form einer Designfachvermietung, ein Café mit einem kleinen Mittagstisch und gelegentlichen Veranstaltungen. Ich hatte keine Ahnung von Einzelhandel, aber wir haben genau das geschaffen, worüber aktuell Städte für ihre Innenstädte nachdenken. Entsprechend durfte ich in Offenbach bei der Innenstadt-Konzeption mitarbeiten. Wir sind ein Teil der Stadtgesellschaft und wichtig für die Nachbarschaft. Neben nachhaltigem, regionalem Design bieten wir nicht-kommerzielle Begegnungsräume. Ich würde nie in einem Geschäft arbeiten wollen, um einfach nur schöne Dinge zu verkaufen. Das wäre nicht meins. Aber das hier ist mein Ding.
Würdest du sagen, dass du erfolgreich bist?
Ich gehe davon aus, wenn es so weiterläuft, dass ich dieser Arbeit bis zur Rente nachgehen werde, mit allen möglichen Veränderungen, die ich heute noch nicht absehen kann. Die Stärken, die ich in meinen anderen Jobs einbringen konnte, egal ob in der Wirtschaft oder in der Sozialarbeit, die kann ich auch hier einsetzen, zum Beispiel unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen und zu vernetzen.
Trauerst du der Sozialarbeit manchmal nach?
Die Sozialarbeit war sehr spannend, aber ich trauere ihr nicht nach. Wir verdienen schlecht, bekommen wenig Anerkennung und sollen immer „die Welt retten“, das ist auf Dauer wenig attraktiv!
Eigentlich hast du immer das gemacht, was sich dir anbot und dich interessierte. Würdest du dich als mutig bezeichnen?
Ich habe mich nie als besonders mutig empfunden. Bei meinen AusstellerInnen ist es auch oft der „Kinderknick“, der zum beruflichen Bruch und zur Neuorientierung führt. Das ist eine bittere Erkenntnis. In meinem Fall kamen Projektverträge und ein schlechtes Gehalt dazu, weshalb es mir vermutlich leichter fiel, Gelegenheiten zu ergreifen, flexibler zu reagieren – ist das mutig?
Hast du ein Lebensmotto?
Das Leben besteht nicht ausschließlich aus Arbeiten und Geld verdienen. Mein Geschäftsmodell ist nicht perfekt, macht nichts. Man kann nicht alles können und man muss auch bereit sein, sich Unterstützung holen. Auf jeden Fall kann ich behaupten, dass ich mich die meisten Stunden des Tages mit netten Menschen umgebe, und das ist viel wert!